Wie mit Ambiguität umgehen?
Manager werden heute mehr denn je mit Situationen auf den internationalen Produkt-, Dienstleistungs- und Finanz-Märkten konfrontiert, die undurchsichtig, komplex und durch raschen Wandel gekennzeichnet sind. Geopolitische Turbulenzen wie Brexit, Flüchtlingskrise und terroristische Angriffe erschweren zusätzlich die Einschätzung der Marktentwicklung. Hinzu kommt ein nie gekannter technologischer Wandel. In Zeiten von Web 2.0 und Industrie 4.0 werden bislang gültige Geschäftsmodelle in kürzester Zeit durch digitale Plattformen abgelöst.
Ergebnisse der aktuellen Forschung
Um mit diesem Umfeld, dem raschen Wandel und der damit verbundenen Unsicherheit bei unternehmerischen Entscheidungen umgehen zu können, braucht es für Führungskräfte eine eigene Kompetenz. Zwar gab es schon immer Unsicherheit und Manager mussten mit Unsicherheit umgehen, allerdings scheint das Ausmaß in den letzten Jahren deutlich zugenommen zu haben. Wie die Ergebnisse der neueren sozialpsychologischen Forschung zeigen, ist diese Kompetenz zum Umgang mit Unsicherheit recht unterschiedlich zwischen Menschen ausgeprägt. Gerade bei der Einstellung von neuen Führungskräften ist es deshalb wichtig zu verstehen, wie diese Kompetenz ausgeprägt ist.
Unsicherheit macht uns generell Angst und wir wollen sie vermeiden. Viele streben deshalb lieber eine schnelle Lösung an, als sich gezielt der Unsicherheit und den Folgen auszusetzen. Insbesondere Faktoren, die außerhalb unserer Kontrolle liegen und die sich durch unsere Handlungen nicht beeinflussen lassen, können uns Angst machen. Ein prominentes Beispiel ist sicher die 2011 nach der Katastrophe von Fukushima von der Bundeskanzlerin beschlossene Kehrtwende in Sachen Kernenergie mit dem Beschluss zur dauerhaften Abschaltung aller deutschen Kernreaktoren bereits nach 1 Tag nach dem Unglück in Japan.
Der Umgang mit Entscheidungen unter Unsicherheit
Manager werden heutzutage in Management Audits vermehrt danach beurteilt, wie gut sie mit Ambiguität (also der wahrgenommenen Mehrdeutigkeit einer Situation) umgehen können. Der Begriff der Ambiguität ist erst in den letzten Jahren vermehrt in der Management Diagnostik aufgetaucht. Die Kompetenz „Entscheidungsstärke“ stand in den Management Audits lange im Vordergrund. Hierbei geht es um die Fähigkeit, zügig einen eigenen Standpunkt zu entwickeln, zu entscheiden und die getroffene Entscheidung aktiv zu vertreten. Die Kompetenz, mit Ambiguität umgehen zu können, meint hingegen die Fähigkeit, Unsicherheit auszuhalten und erst dann zu entscheiden, wenn es die Fakten dies hergeben.
Von Managern wurde in der Vergangenheit geradezu erwartet, dass sie in der Lage sind, kurzfristig Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen. Ein entscheidungsschwacher Manager gilt immer noch als absolutes „no go“. In einer schnelllebigen Zeit hat es durchaus Vorteile, wenn wir rasch zu Einschätzungen und Entscheidungen kommen. Das kommt nicht nur dem Zeitgeist und dem Tempo der Veränderung der Weltwirtschaft entgegen sondern auch einem psychologischen Grundbedürfnis.
Es war der Sozialpsychologe Arie Kruglanski, der sich erstmals 1994 mit dem Konzept des „need for cognitive closure“ (zu Deutsch „Bedürfnis nach Geschlossenheit“) beschäftigt hat.
Das Bedürfnis nach Geschlossenheit
Die Ergebnisse der modernen Sozialpsychologie zeigen, Menschen unterscheiden sich darin, wie schnell sie Unsicherheit bewältigen wollen, wie groß also ihr Bedürfnis nach Geschlossenheit ausgeprägt ist. Eine weitere Erkenntnisse der modernen Sozialpsychologie: gerade wenn die Verhältnisse um uns herum hektisch, unruhig und stressig sind, steigert das unser Bedürfnis nach Geschlossenheit. Dieses Bedürfnis nach Geschlossenheit zeigt sich darin, dass Menschen nicht auf ein bestimmtes Ergebnis warten können und es nicht aushalten, bei einem Problem ohne Lösung dazu stehen.
Viele Manager in Organisationen fühlen sich unwohl, wenn Produkt-, Projekt- oder Investitions-Entscheidungen offen gehalten werden. Das kann aber angesichts der Informations- und Umfeld-Situation angemessen sein und vor übereilten Entscheidungen schützen. Natürlich ist dies kein Argument, um „Entscheidungen auf die lange Bank“ zu schieben. Das ist mit dem Konzept der Ambiguität nicht gemeint.
Wie die sozialpsychologische Forschung zeigt, neigen Menschen mit einem erhöhten Bedürfnis nach Geschlossenheit dazu, Informationen falsch zu gewichten und die typischen Urteilsfehler zu begehen, z.B. dem Primacy-Effekt oder Recency-Effekt aufzusitzen. Des Weiteren nutzen Menschen mit einem erhöhten Bedürfnis nach Geschlossenheit vermehrt Vorurteile bzw. Stereotype. Sie lassen sich von diesen zu Entscheidungen verleiten ohne den Wahrheitsgehalt dieser Vorurteile bzw. Stereotype zu hinterfragen.
Wie gut können Sie mit Ambiguität umgehen?
Wie können Sie für sich herausfinden, wie gut Sie mit Ambiguität umgehen können? Versetzen Sie sich z.B. zurück in eine Situation, wo Sie auf eine für Sie wichtige Information warten mussten, ohne dass Sie die Wartezeit abkürzen konnten z.B. auf die Diagnose eines bislang für Sie unklaren Krankheitsbildes warten mussten. Wie ist es Ihnen dabei ergangen? Welche Gefühle und haben sich eingestellt? Wie stark sind Sie ins Grübeln geraten? Manche Patienten wünschen sich eher eine positive Diagnose als weiter die Unklarheit über das eigentliche Krankheitsbild aushalten zu müssen.
Unabhängig von Management Audits bzw. Assessments gibt es inzwischen auch Fragebögen, die zeigen, wie unangenehm uns unklare Situationen sind (z.B. A. Roets, A. van Hiel: 15 item version of the need for closure scale. Personality and individual differences, 50, 2011). Der Fragebogen von Roets und van Viel umfasst 15 Items und ist auch zum Selbsttest geeignet.
Da die Märkte in den kommenden Jahren eher noch unsicherer und volatiler werden, tun Sie gut daran, sich auf die zunehmende Unsicherheit einzustellen.
Was können Sie unternehmen, um besser mit Ambiguität umgehen zu lernen?
- Sich mit dem Konzept von Ambiguität bewusst auseinander setzen
- Gezielt neue und unbekannte Situationen aufsuchen
- Gewohnheiten erkennen und bewusst anders handeln
- Geduld für eine Problemlösung in Situationen aufbringen, in denen Sie bislang mit einer schnellen Entscheidung reagiert hätten
- Keine einfachen Entscheidungen anstreben, Stereotype als solche entlarven
- Sich immer wieder auf Notfall-Situationen vorbereiten
Entscheidungen im Management sind heute mehr denn je Entscheidungen unter Zeitdruck und unter Unsicherheit. Um die Qualität Ihrer Management-Entscheidungen zu verbessern sollten Sie lernen, mit der Unsicherheit umzugehen und diese auszuhalten. Nutzen Sie dafür die o.g. Maßnahmen.
Hans-Georg Lauer
Coach in Köln